Mehr Dynamik am Arbeitsplatz dank Steh-Sitztischen
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Gesünderes Verhalten, mehr Motivation und höhere Arbeitszufriedenheit durch integrierte Stehpulte
Stehen erwünscht
Lesen und schreiben am Stehpult hat eine lange Tradition. Noch in den Kontoren der Jahrhundertwende wurde z.B. die Buchführung bevorzugt am Stehpult erledigt. Erst im Verlauf dieses Jahrhunderts entwickelte sich die Büroarbeit zum Sitzberuf. Heute sind fast alle Büroarbeitsplätze ausschließlich für sitzendes Arbeiten eingerichtet. Diese Entwicklung hatte Folgen: In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts ist die Zahl der degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen sprunghaft angestiegen. Ursache ist nachweislich die unnatürliche Haltungskonstanz, zu der moderne Büroarbeitsplätze zwingen. Nun soll die Wiedereinführung von Stehpulten am Schreibtisch dieser Haltungskonstanz und ihren schwerwiegenden gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen entgegenwirken.
Ob diese Maßnahmen den erwünschten Erfolg bringen, sollte ein halbjähriges Forschungsprojekt erweisen, das Professor Dr. Christian G. Nentwig und Dipl. Pädagoge Andreas Lüderitz von der Abteilung Prävention und Rehabilitation der Orthopädischen Universitätsklinik Bochum im eigenen Haus (St. Joseph Hospital) und dem Elisabeth-Krankenhaus, Bochum, durchgeführt haben.
Ziel der Untersuchungsreihe
Ziel der Untersuchungsreihe war die Dokumentation von Veränderungen, die die sechsmonatige Einführung von Stehpulten bei Mitarbeitern verursacht, die bisher an typischen Büroarbeitsplätzen gesessen hatten. Zu erwarten waren orthopädische, psychologische und ergonomische Auswirkungen. Orthopädisch interessante Veränderungen sind z.B. abnehmende Häufigkeit von Beschwerden im Halswirbelsäulenbereich und an der Lendenwirbelsäule und bei bereits chronisch schmerzgeplagten Probanden eine Reduktion der Schmerzintensität. Die Installation der höhenverstellbaren Schreibtische gab dem Arbeitsplatz ein anderes Gesicht, außerdem demonstrierte sie ein Interesse des Arbeitgebers am Wohlergehen seiner Mitarbeiter. Es war zu erwarten, dass sich dieses psychologische Moment dauerhaft auf die Arbeitszufriedenheit auswirkt. Der Zusammenhang von mangelhafter Arbeitszufriedenheit und Rückenbeschwerden ist bereits in zahlreichen Studien nachgewiesen worden. Ebenfalls psychologisch interessant sind Veränderungen im Erleben der Schmerzintensität.
Ergonomisch relevante Daten sollte die Entwicklung des Stehverhaltens während der sechsmonatigen Projektdauer liefern. Darüber hinaus war man gespannt, welche Akzeptanz der neu gestaltete Arbeitsplatz bei den Mitarbeitern haben würde.
Untersuchungsbasis
Um alle Auswirkungen des Stehpultes erfassen, prüfen und werten zu können, wurde neben der Versuchsgruppe eine Kontrollgruppe in die Untersuchungen einbezogen Zunächst wurden die Arbeitsplätze der Versuchsgruppe mit Stehpulten ausgerüstet Zuvor hatte man bei diesen Mitarbeitern bestimmte Daten erhoben, die während der sechsmonatigen Projektdauer in monatlichem Abstand erneut abgefragt wurden. Dieselben Daten sammelte man zeitgleich bei der Kontrollgruppe, die vorläufig in gewohnter Weise weiterarbeitete Testpersonen waren 42 Mitarbeiter zweier großer Bochumer Kliniken, die einen erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit am Schreibtisch bzw. Bildschirm verbringen Die Stehpult ausgerüstete Versuchsgruppe bestand aus 27 Verwaltungsmitarbeitern der Orthopädischen Universitätsklinik St. Joseph-Hospital, die 15-köpfige Kontrollgruppe aus Verwaltungsangestellten des Elisabeth-Krankenhauses und Mitarbeitern der Kinder-Krankenpflegeschule des St. Joseph-Hospitals. Einzige Kriterien für die Teilnahme am Projekt waren überwiegend sitzende Tätigkeit und Interesse am Programm zur Förderung der Beweglichkeit am Arbeitsplatz. Zwanzigminütige, strukturierte Einzelinterviews lieferten sämtliche Basisinformationen. Die Fragen zu den Themen „gesundheitliches Wohlbefinden“ und „Verhalten am Arbeitsplatz“ und in der Freizeit wurden im monatlichen Rhythmus gestellt.
Die Arbeitszufriedenheit wurde nach Fischer & Luck gemessen. Die Münchner Schmerzwortskala diente zur Erfassung der subjektiven Schmerzeinschatzung jeder Testperson. Mit computergestützter Videoanalyse wurden die für die Gesundheit der Wirbelsäule wichtigen Haltungsdetails erfasst und ausgewertet. Die unter standardisierten Bedingungen mit der Videokamera aufgezeichnete Körperhaltung wird als digitales Standbild eingefroren. Darüber wird die graphische Oberflache eines Programms gelegt, das nach der Auswertung Maße für die Fuß-, Knie-, Lenden/Becken/Bein-Winkel und die Rundrückenhaltung liefert.
Untersuchungsplan
Zum Versuchsplan gehörte je eine Messung beider Gruppen einen Monat vor bzw. nach dem Projektzeitraum. So konnte die Wirkung des Stehpultes gegenüber der bloßen Erwartung eines solchen bewegungsfördernden Elementes im Hinblick auf die Arbeitszufriedenheit geprüft werden.
Ergebnisse
Die Akzeptanz des Stehpultes steigt mit der Einführung und bleibt hoch. Das neue Arbeitsplatzelement verliert nichts von seiner Attraktivität. Der Beweis: Die beste Benotung bekommt das Pult von den Mitarbeitern nach einem halben Jahr. Offenbar werden mit zunehmender Erfahrung weitere Vorteile und Nutzungsmöglichkeiten entdeckt. Auch die von den Mitarbeitern erlebte Reduktion der Schmerzen dürfte zu diesem Resultat beigetragen haben. Die Probanden der Untersuchungsgruppe wurden zu jedem Erhebungszeitpunkt zur Brauchbarkeit des Stehpultes befragt. Ihr Urteil mussten sie anhand einer Skala abgeben, die von 1 = sehr nützlich
bis 6 = störend ging. Die Abbildung zeigt jeweils die Durchschnittsnote an den sieben Erhebungszeitpunkten. Die erwartete Brauchbarkeit liegt vor dem Aufbau der Pulte etwa bei der Note 3 und steigert sich im Laufe der sechs Monate um fast einen Punkt. Am Ende geben 20 von 24 Probanden an, das Stehpult behalten zu wollen. Das entspricht 83,3%.
Allerdings waren zwei der vier ablehnenden Personen schon von vornherein skeptisch und ließen sich eher vom Gruppendruck zur Teilnahme an der Untersuchung bewegen. In einem Fall war eine angemessene Nutzung des Pultes aufgrund räumlicher Enge am Arbeitsplatz nicht möglich. Körperhaltungen Nach vier Monaten hatten die Probanden umgelernt. Immer weniger arbeiteten sie im Sitzen, immer öfter (20%) im Stehen. Normalerweise bewirkt eine Investition nur eine kurzfristige Verhaltensänderung. Wenn die Attraktivität der Neuheit nachlässt, fällt man rasch wieder in gewohntes Verhalten zurück. Das war hier nicht der Fall. Die verhaltensändernde Wirkung stieg drei, bei manchen Probanden vier Monate lang an und blieb dann konstant. Der prozentuale Anteil der Körperhaltung Sitzen beträgt vor der Untersuchung 80 % und fällt im Verlauf des halben Jahres stabil um etwa 20%. Diese Veränderung ist hochsignifikant. Bei der Kontrollgruppe gibt es keine Veränderung.
Die Häufigkeit des Stehens steigt stabil von etwa 7 % auf ca. 20 % an. Diese Differenz ist ebenfalls hochsignifikant für die Versuchsgruppe, die Ergebnisse der Kontrollgruppe sind statistisch nicht bedeutsam. Die Veränderungen in der Haltungskategorie „gehen“ betragen nur wenige Prozentwerte.
Computergestützte Videoanalyse zeigt Haltungsverbesserung
Die computergestützte Videoanalyse bestätigt die zunehmende Dynamik der Schreibtischarbeit, und sie dokumentiert eine deutliche Haltungsverbesserung. Nach einem halben Jahr mit dem neuen Arbeitsmittel standen die Probanden aufrechter am Pult als zu Projektbeginn. Dies hängt vermutlich mit einer Stärkung der Rumpf- und Beinmuskulatur zusammen. Alle relevanten Dimensionen wie Rundrücken (Kyphose), der Lenden/ Becken/Bein-Winkel und der Winkel von Knie und Fuß zeigen signifikante Verbesserungen.
Die Abbildung zeigt die Veränderung der Körperhaltung der Probanden beim Stehen am Stehpult vom Zeitpunkt vier Wochen nach Einführung bis zum Projekt-Ende. Es haben sich signifikante Veränderungen in der Rundrückenhaltung, dem Lenden/Becken/Bein-Winkel ergeben und beim Knie und Fußwinkel. Das beweist: Schon nach einem halben Jahr ist der Rücken des Probanden aufrechter, die Körperhaltung in drei Winkeln gestreckter.
Weniger orthopädische Beschwerden
Auch die Beobachtung von Schmerzhäufigkeit und -intensität zeigt einen Erfolg: Bereits nach drei Monaten klagen die Testpersonen nur noch halb so oft über orthopädische Beschwerden im Rücken-, Schulter- und Nackenbereich. Danach bleiben die Schmerzen auf dem erreichten niedrigen Niveau. Die Kontrollgruppe zeigte hingegen keine Veränderungen, so dass andere, externe Ursachen wie z. B. jahreszeitliche Einflüsse als Gründe für die positive Entwicklung ausgeschlossen werden können. Die Ergebnisse zur Reduktion der Beschwerden stimmen überein mit den Resultaten zur Veränderung von Schmerzintensität und Schmerzqualität. Die Häufigkeit orthopädischer Beschwerden in den Bereichen Halswirbelsäule, Lendenwirbelsäule, Knie und Schulter nimmt für den Stehpultbenutzer ab.
Mehr Arbeitszufriedenheit
Die Arbeitszufriedenheit hat sich mit zunehmender Nutzungsdauer des Stehpultes signifikant erhöht und zwar fast linear von der ersten Messung vier Wochen nach Installation bis zur Halbjahresmessung.
Projektleitung
Prof. Dr. Christian G. Nentwig, Dipl. Pädagoge Andreas Luderitz
Projektpartner
Orthopädische Universitätsklinik Bochum
St. Joseph Hospital, Elisabeth-Krankenhaus, Bochum
Herausgeber
officeplus GmbH
Saline 29, D-78628 Rottweil